Der plötzliche Herztod, bei dem das Herz abrupt und ohne Vorwarnung aufhört zu schlagen, macht etwa 20 % aller Todesfälle in Europa aus. Besonders gefährdet sind Patienten, die bereits einen Herzinfarkt erlitten haben.
Bisherige Risikoeinschätzung: LVEF
Zur Einschätzung des individuellen Risikos eines plötzlichen Herztods wird bei diesen Patienten bisher vor allem die sogenannte linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF) herangezogen. Vereinfacht gesagt misst dieser Wert die Pumpleistung der linken Herzkammer, die das sauerstoffreiche Blut aus der Lunge in den Körper befördert.
Liegt die LVEF bei 35 % oder niedriger, spricht man von einer stark eingeschränkten Pumpfunktion. In diesen Fällen empfehlen die gängigen Leitlinien die vorbeugende Implantation eines ICDs (implantierbarer Kardioverter-Defibrillator), der gefährliche Herzrhythmusstörungen erkennt und das Herz durch elektrische Impulse wieder in einen normalen Rhythmus bringt.
Doch sind diese Empfehlungen – basierend auf rund 20 Jahre alten Studienergebnissen – noch zeitgemäss? Ist die LVEF tatsächlich eine zuverlässige Methode zur Einschätzung des Risikos für einen plötzlichen Herztod? Und rechtfertigt sie den routinemässigen Einsatz eines ICDs, trotz der Kosten und möglichen Komplikationen für die Patienten?
Neue Analyse des DHZC-Teams
Ein internationales Team unter der Leitung von Prof. Dr. Gerhard Hindricks und PD Dr. Nikolaos Dagres vom Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC) hat diese Fragen untersucht. Sie analysierten dazu die Daten von über 140'000 Patienten, die nach einem Herzinfarkt in 20 internationalen Kohortenstudien über mehrere Jahre hinweg beobachtet wurden.
Die im European Heart Journal veröffentlichte Analyse zeigt, dass das Risiko eines plötzlichen Herztodes durch die Messung der LVEF nicht zuverlässig eingeschätzt werden konnte – weder bei Patienten mit stark eingeschränkter Pumpfunktion noch bei solchen mit moderat oder normaler Pumpfunktion. Auch in Kombination mit anderen klinischen Daten konnte das Risiko laut der Analyse der Berliner Forscher nicht wesentlich besser bewertet werden.
Verbesserte Therapien und neue Überlegungen
Die Forscher weisen ausserdem darauf hin, dass sich die Behandlungsmöglichkeiten für Herzinsuffizienz-Patienten durch die Einführung neuer Medikamentenklassen erheblich verbessert haben. Dies hat dazu geführt, dass schwere Herzrhythmusstörungen und plötzliche Herztode auch bei Patienten nach einem Infarkt deutlich seltener auftreten.
Daher halten die Wissenschaftler eine Neubewertung des Nutzens einer routinemässigen prophylaktischen Defibrillatorimplantation bei Patientenmit einer LVEF von ≤ 35 % für dringend erforderlich.
PROFID EHRA-Studie: Neue Wege in der Forschung
In einer neuen randomisierten klinischen Studie namens «PROFID EHRA» soll untersucht werden, ob eine optimale medikamentöse Therapie (OMT) ebenso wirksam ist wie eine OMT plus ICD-Implantation bei Patienten nach einem Herzinfarkt mit reduzierter Pumpfunktion (LVEF ≤ 35 %), die derzeit gemäss den Leitlinien einen ICD erhalten würden. Die im November 2023 gestartete Studie ist die weltweit grösste ihrer Art und soll über 3'600 Patienten aus 180 Kliniken in 13 Ländern einschliessen.
Sowohl die im European Heart Journal veröffentlichte Analyse als auch die neue Studie sind Teil des EU-geförderten Forschungsprojekts «PROFID» («Implementation of personalised risk prediction and prevention of sudden cardiac death after myocardial infarction»), das von Prof. Dr. Gerhard Hindricks und PD Dr. Nikolaos Dagres geleitet und mit über 20 Millionen Euro vom Horizon 2020 Programm der Europäischen Union gefördert wird.
«Die PROFID EHRA-Studie wird dringend benötigte aktuelle Daten zur Prävention des plötzlichen Herztodes durch Defibrillator-Implantation nach einem Herzinfarkt liefern und die klinische Praxis künftig erheblich beeinflussen», sagt PD Dr. Nikolaos Dagres. Ziel der Forschung sei es, Defibrillatoren gezielt nur den Patienten zu implantieren, die tatsächlich davon profitieren, erklärt Prof. Dr. Gerhard Hindricks: «So sollen unnötige Eingriffe vermieden und gleichzeitig die Sicherheit der Betroffenen verbessert werden.»
Quelle
Deutsches Herzzentrum der Charité