Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel (BPPV) ist eine Erkrankung des Gleichgewichtsorgans im Innenohr. 2,4% aller Menschen erleben irgendwann im Leben einen BPPV (2). Er ist durch wiederkehrende kurze Episoden von starkem Drehschwindel gekennzeichnet, ausgelöst durch Bewegung bzw. Positionsveränderungen des Kopfes.
BPPV: starke Beeinträchtigung im Alltag
Der Schwindel wird verursacht durch Otokonien, die sich (meist ohne konkrete Ursache) aus ihrer Verankerung im Gleichgewichtsorgan gelöst haben und frei in der Flüssigkeit der Bogengänge schwimmen. Eine altersbedingte Degeneration der Otokonien scheint beizutragen, denn ältere Menschen sind häufiger betroffen. Als benigne gilt der BPPV, weil er meistens auch ohne Behandlung wieder abklingt – nach Tagen, Wochen oder manchmal Monaten. Die Beeinträchtigung der Betroffenen im Alltag ist jedoch stark, oft ist nicht einmal Laufen problemlos möglich.
Semont-Manöver (SM) und Epley-Manöver (EM)
Die Therapie besteht in manuellen Befreiungsmanövern; dabei bewegt der Arzt Oberkörper und Kopf der Betroffenen auf einer Liege in einer bestimmten Abfolge von Positionen, wodurch die Steinchen den Weg aus dem Bogengang herausfinden sollen. Mehrheitlich ist der hintere der drei Bogengänge betroffen (posterior canal, pcBPPV). Dabei sind sowohl das sogenannte Epley-Manöver (EM) als auch das Semont-Manöver (SM) sehr wirksam; bei korrekter Durchführung liegt die Erfolgsquote bei bis zu 95% (1). In den meisten Fällen müssen die Manöver mehrmals erfolgen, bis Beschwerdefreiheit erzielt wird. Die Manöver können nach genauer Anleitung auch vom Betroffenen selbst durchgeführt werden; die Erfolgsquote ist dann oft etwas niedriger. Vergleiche von SM und EM ergaben bisher keine Unterschiede in ihrer Wirksamkeit. Die Wahl des Manövers hängt von der Erfahrung des Therapeuten und von individuellen Faktoren ab, beispielsweise, ob bei dem Betroffenen Schulter- oder Nackenprobleme bestehen.
SM-plus wirksamer als SM
Basierend auf Erkenntnissen durch biophysikalische Modelle und Computersimulationen wurde vor einigen Jahren von einer Arbeitsgruppe aus München um Prof. Michael Strupp (Neurologische Klinik und Deutsches Schwindel- und Gleichgewichtszentrum; Klinikum der Ludwig Maximilians Universität München) und einem Team aus der Schweiz das SM-plus entwickelt (3), wobei die exakten Drehwinkel der Bogengänge bzw. des Kopfes ermittelt wurden, um die «Wanderung» der Otokonien zu optimieren. In einer prospektiven randomisierten Studie konnte dann gezeigt werden, dass SM-plus dem normalen SM überlegen ist, denn die Zeit bis zur Beschwerdefreiheit verkürzte sich von median zwei Tagen (Range 1–21; im Mittel 3,6 Tage) mit dem klassischen SM auf einen Tag (Range 1-8; im Mittel 1,8 Tage) mit dem SM-plus-Manöver (p<0,001) (4).
SM-plus wirksamer als Epley-Manöver
Eine neue Studie verglich nun in drei europäischen Zentren (München, Siena/Italien, Brügge/Belgien) prospektiv und randomisiert die Wirksamkeit des SM-plus mit dem Epley-Manöver (EM) bei pcBPPV. Dafür wurden 253 Patienten im Rahmen der routinemässigen ambulanten Versorgung gescreent; 214 (mittleres Alter 62,6±13,9 Jahre; 64,1% weiblich) konnten für die Studie randomisiert und jeweils 97 (EM) und 98 (SM-Plus) abschliessend analysiert werden. Nach Randomisierung in die SM-Plus- oder EM-Gruppe erhielten die Betroffenen ein erstes ärztlich durchgeführtes Manöver und praktizierten dies dann nach genauer Anleitung (schriftlich und bildlich) als Selbstmanöver 9x pro Tag zu Hause (je 3 x morgens, mittags und abends). Die Teilnehmer dokumentierten jeden Morgen, ob sie noch einen Lagerungsschwindel hatten. Primärer Endpunkt war die Anzahl der Tage, bis an drei aufeinanderfolgenden Tagen keine Morgensymptome mehr ausgelöst werden konnten.
- Die mittlere Dauer bis zum primären Endpunkt betrug in der SM-plus-Gruppe 2,0±1,6 Tage (median 1 Tag; Range 1-8) und in der EM-Gruppe 3,3±3,6 Tage (median 2; Range 1-20 Tage; p=0,01).
- In der EM-Gruppe berichteten 19 Betroffene (19,6 %) von Übelkeit während der Selbstmanöver; in der SM-plus-Gruppe 24 (24,5%).
- In keiner Gruppe gab es schwerwiegende unerwünschte Ereignisse. Für den sekundären Endpunkt (Wirkung des ersten ärztlich durchgeführten Manövers) wurde kein signifikanter Unterschied festgestellt.
- In der SM-plus-Gruppe waren danach 68,4% und in der EM-Gruppe 62,9% zunächst schwindelfrei.
- Am nächsten Morgen hatten von diesen zunächst beschwerdefreien Personen 25,4% (SM-plus) und 24,6% (EM) wieder einen pcBPPV.
«Die relativ hohe Rezidivquote nach einmaliger ärztlicher Behandlung zeigt, dass es sinnvoll ist, den Betroffenen ein Selbstmanöver beizubringen», konstatiert Prof. Strupp, Erstautor der Studie. «Nach unseren Studienergebnissen sollte sowohl für das erste ärztliche Manöver als auch für die Selbstmanöver das SM-plus verwendet werden, wenn medizinisch nichts dagegenspricht.»PS