Das Stiff-Person-Syndrom (SPS), auch bekannt als Stiff-Man-Syndrom, ist eine seltene, fortschreitende neurologische Erkrankung, die durch Muskelsteifheit, krampfartige Muskelkontraktionen und eine übermässige Empfindlichkeit gegenüber sensorischen Reizen (z. B. Berührungen, Geräusche) gekennzeichnet ist. Die Erkrankung tritt mit einer Inzidenz von etwa 1 bis 2 Fällen pro Million Menschen auf und betrifft häufiger Frauen. Meistens wird SPS im mittleren Lebensalter diagnostiziert, kann jedoch prinzipiell in jedem Alter auftreten. Ein erhöhtes Risiko besteht bei Personen mit Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes, Schilddrüsenerkrankungen (z. B. Hashimoto-Thyreoiditis) und bestimmten Krebserkrankungen, insbesondere Brustkrebs.
Ätiologie und Pathogenese
Die genaue Ursache des Stiff-Person-Syndroms ist nicht vollständig geklärt, jedoch wird angenommen, dass es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt. Bei SPS bildet das Immunsystem Antikörper gegen spezifische Strukturen im Zentralnervensystem, insbesondere gegen das Enzym Glutamat-Decarboxylase (GAD). Dieses Enzym ist entscheidend für die Produktion des Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure (GABA), der eine hemmende Wirkung auf die Muskelfunktion hat. Ein Mangel an GABA führt zu einer erhöhten Muskelanspannung und übermässigen Muskelaktivität, was die typischen Symptome wie Steifheit und Muskelkrämpfe verursacht.
Neben den GAD-Antikörpern konnten bei einigen Betroffenen, vor allem bei paraneoplatisch bedingten Formen, auch Antikörper gegen Amphiphysin nachgewiesen werden. Diese sind häufiger mit einer paraneoplastischen Form von SPS assoziiert, die vor allem bei Krebspatienten auftritt und schneller fortschreiten kann. Forscher vermuten, dass neben Autoimmunmechanismen auch genetische Faktoren zur Entstehung des Syndroms beitragen können, wobei jedoch bisher keine spezifischen Gene eindeutig identifiziert wurden.
Klinisches Bild und Symptomatik
SPS zeigt sich vor allem durch eine starke Steifheit der Muskeln, insbesondere im Rumpf-, Nacken- und Beinbereich. Diese Muskelanspannung kann im Verlauf so stark werden, dass die Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt ist. Viele Patienten leiden unter episodischen Muskelkrämpfen, die durch äussere Reize (z. B. Geräusche, Berührungen, Stress) ausgelöst werden können und extrem schmerzhaft sind. Diese Muskelkrämpfe können so stark sein, dass sie das Sturzrisiko erhöhen und in einigen Fällen zu Frakturen führen. Zusätzlich zur körperlichen Belastung führt das Syndrom oft zu erheblichen psychosozialen Beeinträchtigungen, da viele Betroffene in ständiger Angst vor den unvorhersehbaren Krämpfen leben.
In schwereren Fällen können neurologische Symptome auftreten, darunter Tremor, Koordinationsprobleme und in seltenen Fällen sogar Krampfanfälle. Die Symptome ähneln manchmal denen anderer neurologischer Erkrankungen, was die Diagnose erschweren kann.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die Diagnose des SPS ist komplex und erfordert eine genaue Erhebung der Krankengeschichte sowie eine umfassende neurologische Untersuchung. Diagnostisch sind neben der Anamnese und körperlichen Untersuchung oft spezifische Bluttests erforderlich, um die typischen GAD-Antikörper nachzuweisen. Bildgebende Verfahren wie ein MRT des Gehirns können dazu beitragen, andere neurologische Erkrankungen auszuschliessen. Elektromyographie (EMG) und Tests der Nervenleitgeschwindigkeit helfen, die typische Muskelaktivität und Anspannung nachzuweisen.
SPS wird oft erst nach dem Ausschluss anderer Erkrankungen wie Multipler Sklerose, Parkinson oder psychogenen Bewegungsstörungen diagnostiziert, da viele der Symptome überlappen können.
Behandlungsmöglichkeiten
Da SPS bislang nicht heilbar ist, liegt der Schwerpunkt der Therapie auf der Linderung der Symptome und der Verbesserung der Lebensqualität der Patienten. Die Behandlung umfasst oft eine Kombination aus Medikamenten, die Muskelrelaxanzien wie Diazepam und Baclofen sowie Immuntherapien wie Kortikosteroide und Immunglobuline umfassen. Rituximab, ein monoklonaler Antikörper, wird zunehmend als Therapieoption erforscht, insbesondere bei therapieresistenten Fällen. In schwereren Fällen kann auch ein Plasmaaustausch (Plasmapherese) in Erwägung gezogen werden, um Autoantikörper aus dem Blut zu entfernen.
Eine physikalische Therapie und psychologische Unterstützung können ebenfalls hilfreich sein, um die Beweglichkeit und das Wohlbefinden der Betroffenen zu verbessern. Physiotherapeutische Massnahmen sind dabei darauf ausgerichtet, die Beweglichkeit zu erhalten und Muskelschmerzen zu reduzieren.
Bekannte Betroffene und öffentliche Aufmerksamkeit
Zu den prominenten Personen, bei denen ein SPS diagnostiziert wurde, gehört die kanadische Sängerin Céline Dion, die 2022 öffentlich über ihre Diagnose sprach. Die Erkrankung führte bei Dion zu einer erheblichen Einschränkung ihrer Karriere.
Das Stiff-Person-Syndrom bleibt aufgrund seiner Seltenheit und der Komplexität der Symptome eine Herausforderung für die medizinische Diagnostik und Therapie. Schweizweit sind hochgerechnet zwischen 80 und 100 Personen betroffen. Wobei: «Eine prominente Person, die sich outet, ist für eine seltene Krankheit das Beste, das passieren kann», sagt Stephan Rüegg (zitiert aus «Watson»), leitender Arzt am Universitätsspital Basel. Das könne vielen Menschen helfen.
Quellen
MSD Manual
Website Deutsche Herzstiftung
Website Johns Hopkins Medicine
Swiss Medical Forum (E.Daetwyler), 2019
Tageszeitungen