Beim Grauen Star trüben sich die Augenlinsen allmählich ein bis zum Sehverlust. Dieser Prozess beginnt im sechsten Lebensjahrzehnt, zunächst nahezu unmerklich. Ab 65 Jahren sind fast 90 Prozent der Menschen betroffen. «Indem wir die natürliche Linse durch ein Implantat tauschen, wird die ungetrübte Sicht wiederhergestellt», sagt Professor Dr. med. Gerd Auffarth, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ophthalmologie e.V. (DOG). Aber der Anspruch heute geht viel weiter: Mit dem Linsentausch sollen auch alle Fehlsichtigkeiten so korrigiert werden, dass keine Brille und keine Kontaktlinse mehr erforderlich sind. Dank Fortschritten in der Diagnostik, bei Operationsmaschinen, OP-Mikroskopen und Implantaten gelingt das sehr zuverlässig, nicht zuletzt dank KI.
Diagnostik
Verbesserte Diagnostik etwa hilft, problematische Patientinnen und Patienten früh herauszufiltern. So können moderne Bildanalyseverfahren wie OCT-Technologie und Scheimpflugbildgebungmittlerweile subtile Veränderungen wie Wölbungsanomalien der Hornhaut, Veränderungen des Sehnervs oder der Makula entdecken, bevor sie in Erscheinung treten – dank KI-Algorithmen. «Für diese Patienten sind beispielweise Trifokallinsen nicht gut geeignet», erläutert Auffarth, «in solchen Fällen kommen eher die Standard-Monofokallinsen infrage, in Ausnahmefällen aber auch Monofokal-plus- und Tiefenschärfenlinsen.»
Tiefenschärfenlinsen machen Trifokallinsen Konkurrenz
Auch die Kunstlinsen selbst haben sich stark weiterentwickelt. Neue Herstellungsverfahren konnten den Lichtverlust bei Trifokallinsen von bis zu 20 Prozent auf unter 10 Prozent senken. Trotzdem sind die trifokalen Linsen allerdings nicht frei von Licht-Nebenwirkungen, weshalb sie nicht mehr unangefochten auf Platz eins stehen. So sind seit einiger Zeit Tiefenschärfenlinsenauf dem Vormarsch: Nach einer Umfrage der European Society for Cataract and Refractive Surgeons (ESCRS) aus dem Jahr 2023 wurden fast genauso viele Tiefenschärfenlinsen wie Trifokallinsen eingesetzt.
Tiefenschärfe, trifokal, Kombi-Lösung, Monovision, Blended Vision
Um das Ziel der Brillenunabhängigkeit zu erreichen, können beide Optiksysteme auch kombiniert werden. «Eine Tiefenschärfenlinse in einem Auge und eine Trifokallinse im anderen kann im Einzelfall eine gute Möglichkeit sein, Nebenwirkungen zu reduzieren», erläutert Auffarth. «Dies wird oft in Asien angewandt, wo viele stark kurzsichtig sind.» Zur Wahl steht ferner eine moderne Monovisionsstrategie mit Monofokal-plus-Linsen: Ein Auge wird auf 0 Dioptrien eingestellt, das andere leicht kurzsichtig, etwa auf minus 1 Dioptrie. «Man muss allerdings vorher durch einen Kontaktlinsenversuch testen, ob der Patient dies verträgt», betont Auffarth. Eine weitere Alternative stellt das Verfahren «Blended Vision» dar. «Dabei setzen wir Tiefenschärfenlinsen so ein, dass eine Linse die Ferne bedient, die andere die Nähe und beide zusammen den Intermediärbereich», erläutert der DOG-Präsident. Um die richtige Strategie zu finden, muss ausreichend Zeit investiert werden.
Künstliche Intelligenz errechnet Linsenstärken
Nach Diagnostik, ausführlicher Beratung und anschliessender Wahl des Implantats steht die individuelle Berechnung der Intraokularlinsenstärke an. «Auch auf diesem Gebiet gibt es grosse Fortschritte, seit moderne mathematische Formeln und neuerdings KI-basierte Linsenberechnungsformeln zum Einsatz kommen», berichtet Auffarth. «Durch KI ist die Genauigkeit einer Berechnung des postoperativen Ergebnisses im Bereich von 0,25 Dioptrien möglich – das bedeutet de facto Brillenunabhängigkeit.» Hornhautverkrümmungen und unterschiedliche Hornhautparameter können dabei präzise erfasst und in den Implantaten berücksichtigt werden.
Intelligente Pumpsysteme, regulierter Augendruck und 3D-Brillen
Auch der Eingriff erfolgt immer schonender und präziser. Neuartige OP-Mikroskope werden mit 3D-Brillen und einem grossen Bildschirm genutzt – Operateur oder Operateurin müssen nicht mehr durch die Okulare schauen, sondern können frei im Raum das OP-Feld sehen. Intelligente Pumpsysteme messen die Druckverhältnisse während der Operation, um die Flüssigkeitsmenge im Auge zu regulieren; auch der Augendruck, der bei der Katarakt-OP aufgebaut wird, kann inzwischen so weit heruntergesetzt werden, dass Schäden der Hornhaut und Entzündungsreaktionen minimiert werden. Die Linsenchirurgie ist eine Erfolgsgeschichte, die permanent fortgeschrieben wird.
Quelle
Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft
Universitätsaugenklinik Heidelberg
Prof. Dr. Gerd Auffarth
Präsident der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft
Ärztlicher Direktor der Augenklinik, Universitätsklinikum Heidelberg
E-Mail: Gerd.Auffarth@med.uni-heidelberg.de