Der Begriff Gaslighting stammt aus einem Theaterstück von 1938, das durch die Verfilmung von 1944 mit Ingrid Bergman und Charles Boyer weltbekannt wurde. In dem Thriller manipuliert ein Mann seine Frau, indem er das Gaslicht im Haus dimmt und ihr versichert, dass sie sich die Dunkelheit nur einbildet, was sie schliesslich an ihrer geistigen Gesundheit zweifeln lässt.
Gaslight (1944)
Gaslight ist ein Thriller von 1944, der die Geschichte von Paula Alquist erzählt, die nach dem Tod ihrer Tante heiratet und in das alte Familienhaus in London zurückkehrt. Dort beginnt ihr Ehemann Gregory mit subtile Manipulationen, um sie an ihrem Verstand zweifeln zu lassen. Ein zentraler Aspekt der Handlung ist das Abdimmen der Gaslampen im Haus, was Paula bemerkt, während Gregory ihr einredet, dass sie sich die Dunkelheit nur einbilde. Ziel seiner Manipulation ist es, Paula für verrückt zu erklären, um an versteckte Reichtümer im Haus zu gelangen.
Paula kämpft mit zunehmendem psychischem Druck, bis schliesslich ein Detektiv erkennt, was Gregory tatsächlich im Schilde führt. Der Film ist ein meisterhaftes Beispiel für psychologische Manipulation und brachte den Begriff «Gaslighting» in die Alltagssprache.
Das Theaterstück, auf dem der Film basiert, heisst Gas Light und wurde 1938 von Patrick Hamilton geschrieben. Es bildet die Grundlage für die manipulative Dynamik im Film und prägt bis heute die Bedeutung des Begriffs «Gaslighting» als eine Form der psychischen Manipulation.
In der Psychiatrie beschreibt «Gaslighting» die manipulative Dynamik in persönlichen Beziehungen. Doch seine Bedeutung hat sich auf andere Bereiche wie die politische Bühne und den medizinischen Kontext ausgeweitet und umfasst heute verschiedene Formen des Täuschens und des Untergrabens.
Medical Gaslighting
Medical Gaslighting tritt auf, wenn medizinisches Fachpersonal ein mangelndes Bewusstsein oder Wissen über bestimmte Erkrankungen hat, Vorurteile oder vorgefasste Meinungen über bestimmte Krankheitsbilder oder Patientengruppen besitzt oder aufgrund seiner fachlichen Autorität das Patientenerleben übergeht und als weniger bedeutsam einstuft. Dieses Phänomen betrifft besonders häufig Patienten mit chronischen, unspezifischen Symptomen und komplexen Krankheitsbildern.
Ein Beispiel dafür aus jüngerer Zeit ist das Long-Covid-Syndrom. Zu Beginn der Pandemie waren viele Ärzte sich der Möglichkeit langwieriger Covid-Komplikationen nicht bewusst. Eine Untersuchung zeigt, dass die von Patienten geäusserten Symptome häufig abgetan wurden, weil der Weg zur Diagnose des Long-Covid-Syndroms oft schwierig und voller Hürden war und die Behandlung aufgrund fehlender therapeutischer Optionen verzögert wurde.
Komplexe Krankheitsbilder, die häufig unerkannt bleiben
Es gibt Krankheitsbilder, die noch wenig erforscht oder nicht weit verbreitet sind und bei denen es an einem wissenschaftlichen Konsens über Ursachen und Mechanismen mangelt. Hier können Ärzte dazu neigen, Symptome vorschnell als «funktionell» abzutun. Weitere Beispiele dafür sind neben Long-Covid etwa
- Chronische Lyme-Borreliose, die oft mit unspezifischen körperlichen Symptomen einher geht, die selbst erfahrene Mediziner vor Herausforderungen stellen. Infolgedessen werden betroffene Patienten häufig auf eine lange diagnostische Irrfahrt geschickt, und ihre Beschwerden werden im klinischen Umfeld entweder ignoriert oder fehldiagnostiziert.
- Fibromyalgie: Diese Krankheit äussert sich durch chronische, weit verbreitete Schmerzen, Erschöpfung und Schlafprobleme. Da es keine klaren Laborbefunde gibt, neigen Ärzte dazu, die Beschwerden als psychosomatisch einzuordnen.
- Reizdarmsyndrom (RDS): Das Reizdarmsyndrom verursacht Bauchschmerzen, Blähungen und veränderte Stuhlgewohnheiten. Da es keine eindeutige physische Ursache gibt, wird es oft als stressbedingte oder psychosomatische Erkrankung abgetan.
- Chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS/ME): Patienten mit chronischem Erschöpfungssyndrom leiden unter extremer Müdigkeit, die sich durch Ruhe nicht bessert. Es gibt dafür keine klare medizinische Erklärung, was dazu führt, dass die Symptome als psychisch bedingt interpretiert werden.
- Multiple Chemikalienunverträglichkeit (MCS): MCS betrifft Menschen, die überempfindlich auf verschiedene chemische Stoffe reagieren. Auch hier ist die Pathophysiologie unklar, und die Krankheit wird oft als psychosomatisch angesehen.
- Posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom (POTS): POTS verursacht Schwindel, Herzrasen und Schwäche beim Aufstehen. Aufgrund der breiten Palette an Symptomen und der mangelnden Bekanntheit des Syndroms bei vielen Ärzten wird es häufig als psychisch bedingt betrachtet.
- Systemischer Lupus erythematodes
Auch blosse Symptome, die als harmlos oder «psychisch» etikettiert werden, sind dem Risiko das Medical Gaslightings ausgesetzt, etwa
- Chronische Müdigkeit: Müdigkeit ist ein unspezifisches Symptom, das leicht auf Schlafmangel oder Stress zurückgeführt wird, es kann jedoch auch auf ernsthafte Erkrankungen hinweisen (z.B. CFS, Schilddrüsenunterfunktion, Multiple Sklerose).
- Schwindel: Oft wird Schwindel als Zeichen von Stress oder Angststörungen interpretiert, obwohl er auch neurologische oder kardiovaskuläre Ursachen haben kann.
- Herzrasen und Herzklopfen: Diese Symptome werden oft als Folge von Nervosität oder Panikattacken abgetan, können aber auch auf ernsthafte kardiologische Erkrankungen hinweisen.
- Atemnot: Atembeschwerden werden häufig als Zeichen von Panik oder Angst angesehen, obwohl sie auch bei Herz- oder Lungenerkrankungen auftreten können.
- Bauchschmerzen: Da Bauchschmerzen oft psychosomatisch bedingt sind, vor allem bei Menschen mit bekannter psychischer Belastung, kann eine organische Ursache gelegentlich übersehen werden (z.B. entzündliche Darmerkrankungen, Gallensteine).
- «Angina pectoris». Ein typisches Beispiel ist der Umgang mit Patienten, die eine Vorgeschichte psychischer oder somatoformer Störungen haben und sich mit unspezifischen Beschwerden wie Brustschmerzen vorstellen. Werden solche Beschwerden vorschnell als psychisch eingestuft, ohne die notwendigen Untersuchungen durchzuführen, ist das «Medical Gaslighting». Somatisierung ist zwar ein weit verbreitetes Phänomen und eine Herausforderung in der Praxis, doch es gilt immer, die Symptome ernst zu nehmen, um eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung aufrechtzuerhalten, ohne dabei unnötige oder unverhältnismässige Untersuchungen vorzunehmen.
Quellen
Gaslighting in der Medizin: Eine oft unbewusst eingesetzte Form der Manipulation – sind auch Sie anfällig dafür? - Medscape - 15. Okt 2024.
RA (Wikipedia, KI)