Atriale Hochfrequenzepisoden sind kurze und seltene Rhythmusstörungen, die durch implantierte Herzschrittmacher, Defibrillatoren oder Ereignisrekorder nachgewiesen werden. Bei 10 bis 30 Prozent aller Patienten mit implantierten Geräten werden AHRE gefunden (2). AHRE ähneln Vorhofflimmern. Deshalb wird Patienten mit AHRE häufig eine Antikoagulation angeboten, auch ohne im EKG dokumentiertes Vorhofflimmern. Die Wirksamkeit und Sicherheit der Antikoagulation bei Menschen mit AHRE wurde bisher noch nie geprüft (2, 3).
NOAH – AFNET 6: Edoxaban vs. Plazebo
Die NOAH – AFNET 6 (Non-vitamin K antagonist Oral anticoagulants in patients with Atrial High rate episodes) Studie hat deswegen untersucht, ob bei Menschen mit AHRE eine gerinnungshemmende Behandlung Schlaganfälle, kardiovaskuläre Todesfälle und Embolien verhindert. In der internationalen klinischen Studie wurde bei Menschen ab 65 Jahren, die AHRE mit einer Dauer von mindestens sechs Minuten und mindestens einen zusätzlichen Schlaganfallrisikofaktor (Herzschwäche, Bluthochdruck, Diabetes, vorheriger Schlaganfall oder transitorische ischämische Attacke, Gefäßerkrankung oder Alter ab 75 Jahre) hatten, der Gerinnungshemmer Edoxaban mit einem Plazebo verglichen. Dies liegt außerhalb der zugelassenen Indikation für Edoxaban.
Der wissenschaftliche Leiter der NOAH – AFNET-6-Studie Prof. Paulus Kirchhof, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Hamburg, erklärt den Hintergrund der Studie: «Ob Blutverdünner auch Menschen mit AHRE vor Schlaganfällen schützen, war bisher nicht bekannt. Obwohl AHRE dem Vorhofflimmern ähneln, zeigt die NOAH – AFNET 6 Studie, dass Menschen mit AHRE besser ohne Blutverdünner behandelt werden.»
Zwischen 2016 und 2022 wurden 2536 Patienten in 206 Studienzentren in 18 Europäischen Ländern im Rahmen der NOAH – AFNET-6-Studie untersucht und behandelt. Die Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip einer von zwei gleich großen Gruppen zugeordnet, wobei eine Gruppe gerinnungshemmend behandelt wurde, die andere nicht. Die Teilnehmer der Gerinnungshemmergruppe erhielten Edoxaban in der für die Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern zugelassenen Dosis (60 mg einmal täglich bzw. 30 mg einmal täglich entsprechend den für eine Dosisreduktion bei Vorhofflimmern anerkannten Kriterien). Die andere Gruppe bekam ein Plazebo. Dieses enthielt keinen Wirkstoff bei Patienten, die kein Aspirin benötigen, oder Aspirin (100 mg täglich), wenn eine Indikation zur Blutplättchenhemmung bestand (3).
Analysiert wurden die Daten von insgesamt 2536 Patienten im durchschnittlichen Alter von 78 Jahren. 37 Prozent der Teilnehmer waren Frauen. Die Patienten hatten zusätzliche Schlaganfallrisikofaktoren (Median CHA2DS2-VASc score 4,0±1,3) und AHRE mit einer medianen Dauer von 2,8 Stunden. Alle Teilnehmer wurden bis zum Ende der Studie nachbeobachtet.
Nachdem die erforderliche Zahl von Patienten in die Studie eingeschlossen war, zeichneten sich ein Trend zur Unwirksamkeit und erwartete Sicherheitsbedenken, insbesondere Blutungsereignisse, in der Antikoagulationsgruppe gegenüber der Plazebogruppe ab. Daraufhin wurde im September 2022 der Entschluss gefasst, die Studie unter kontrollierten Bedingungen vorzeitig zu beenden. Die Analyse der vollständigen Daten bestätigt nun:
- Schlaganfall, systemische Embolie oder kardiovaskulärer Tod trat bei 83 Personen der Antikoagulations-Gruppe und bei 101 Personen der Gruppe ohne Antikoagulation auf (Schlaganfall: 0,9 gegenüber 1,1 Prozent pro Jahr, systemische Embolie: 0,5 gegenüber 1,1 Prozent pro Jahr, kardiovaskulärer Tod: 2,0 gegenüber 2,2 Prozent pro Jahr).
- Das bedeutet, dass kein Unterschied zwischen beiden Behandlungsgruppen nachweisbar ist (HR 0,81 [0,6;1,08], p=0,15).
- Ein schweres Blutungsereignis oder der Tod ereignete sich bei 149 Teilnehmern der Antikoagulations-Gruppe (5,9 Prozent/Jahr) und bei 114 der Gruppe ohne Antikoagulation (4,5 Prozent/Jahr), also häufiger bei den Menschen, die das gerinnungshemmende Medikament einnahmen (HR 1,3 [1,02;1,67], p=0,03).
- Schwere Blutungen traten in der Antikoagulationsgruppe doppelt so häufig auf wie ohne Gerinnungshemmung (2,1 gegenüber 1,0 Prozent pro Jahr). Dies ist eine bekannte Nebenwirkung von Gerinnungshemmern.
Prof. Kirchhof kommentiert: «Wie erwartet, führt die Gerinnungshemmung mit Edoxaban zu mehr Blutungen. Die niedrige Schlaganfallquote mit und ohne Gerinnungshemmung war unerwartet. Die Ergebnisse der NOAH – AFNET-6-Studie sprechen klar dafür, Vorhofflimmern zuerst im EKG zu bestätigen, bevor eine blutverdünnende Behandlung eingeleitet wird. Auch Smartwatches können seltene Rhythmusstörungen, die dem Vorhofflimmern ähnlich sind, feststellen. Um beurteilen zu können, ob in diesen Fällen eine Blutverdünnung nötig ist, bedarf es weiterer Studien.»
Prof. Andreas Götte, St. Vincenz-Krankenhaus Paderborn, aus dem Leitungsgremium der NOAH – AFNET 6 Studie sagt abschließend: «Unsere Ergebnisse untermauern Daten aus anderen Studien, die bereits vermuten ließen, dass Gerinnungshemmer bei Patienten mit AHRE möglicherweise weniger wirksam Schlaganfälle verhindern als bisher angenommen. Weitere Forschung ist nötig, um herauszufinden, welche Patienten mit AHRE ein hohes Schlaganfallrisiko haben und wie sie am besten behandelt werden sollten.»PS