Es gibt unterschiedliche Definitionen der Statinintoleranz (SI). Die US-amerikanische National Lipid Association (NLA) definiert sie als die Lebensqualität beeinträchtigende Nebenwirkung, welche zu Dosisminderung oder zum Absetzen eines ansonsten nützlichen Medikaments führt. Für das International Lipid Expert Panel (ILEP) bedeutet SI, dass die für eine ausreichende Minderung des kardiovaskulären Risikos notwendige Statindosis nicht vertragen wird, während sich die Definition der European Atherosclerosis Society (EAS) auf die muskulären Symptome (statin-associated muscle symptoms, SAMS) und die Erhöhung der Kreatinkinase-(CK-)Spiegel bezieht, was letztlich zum Absetzen der Statine führt. SAMS sind der häufigste Grund, eine Statinbehandlung abzubrechen, aber auch eine zeitweilige Erhöhung der Leberwerte (ALAT) oder ein neu diagnostizierter Diabetes können dazu führen, dass Statine abgesetzt oder vom Patienten nicht mehr akzeptiert werden.
Daten von rund 4 Millionen Patienten
Die Studienautoren werteten 176 Studien mit insgesamt 4,1 Millionen Patienten aus, in denen der Anteil der SIPatienten erfasst worden war. Es handelte sich um 112 randomisierte, kontrollierte Studien und 64 Kohortenstudien. Die in den Studien berichtete SI-Prävalenz betrug insgesamt 9,1 Prozent (95%-Konfidenzintervall [KI]: 8–10%). Gemäss den oben genannten Kriterien der verschiedenen Fachgruppen lag sie etwas niedriger, aber gemäss allen drei Definitionen in der gleichen Grössenordnung (NLA: 7%; ILEP: 6,7%, EAS: 5,9%). In den Kohortenstudien wurde eine höhere SI-Prävalenz angegeben, was von den Studienautoren mit Problemen einer korrekten SI-Diagnose in der Praxis sowie einer generellen Überschätzung der SI-Prävalenz in Real-world-Daten erklärt wird. Der gleiche Effekt bestehe auch bei Kohorten-Beobachtungsstudien, in denen Statine sowohl zur Primär- als auch zur Sekundärprävention verabreicht würden. Jedoch sei es möglich, dass in randomisierten Studien die SI-Prävalenz unterschätzt werde, weil ältere Patienten mit Komorbiditäten dort von vornherein ausgeschlossen würden.
Risikofaktoren
Folgende Faktoren waren mit einem erhöhten SI-Risiko assoziiert: Alter ≥ 65 Jahre, weibliches Geschlecht, asiatische oder afroamerikanische Abstammung, Adipositas, Hypothyroidismus, chronische Leber- oder Nierenerkrankungen, Alkoholkonsum, Sport, hohe Statindosis und die gleichzeitige Einnahme von Antiarrhythmika. Depression war mit einem niedrigeren SI-Risiko assoziiert, was von den Autoren auf «under-reporting» zurückgeführt wird. Rauchen und die Einnahme von Antikoagulanzien waren nicht mit der SI-Prävalenz assoziiert. Es machte bezüglich der SI-Prävalenz auch keinen Unterschied, ob lipophile (Atorvastatin, Simvastatin, Fluvastatin, Pitavastatin) oder hydrophile (Pravastatin, Rosuvastatin) Statine eingenommen wurden.
Keine Aussagen zum Nocebo-Effekt
Die Metaanalyse erlaubt keine Aussagen, inwieweit der bekannte NoceboEffekt von Statinen für die ermittelte SI-Prävalenz verantwortlich sein könnte. Da in den meisten der in die Metaanalyse eingeschlossenen Studien die Ermittlung der SI-Prävalenz jedoch anhand der eingangs genannten, definierten Kriterien erfolgt sei, dürfe man davon ausgehen, dass der NoceboEffekt keinen grossen Einfluss auf das Resultat gehabt habe, so die Studienautoren. Die Studie erlaubt ausserdem keine Aussagen über Zusammenhänge zwischen der SI-Prävalenz und der Statindosis, der Komedikation oder der Schwere der Grunderkrankung.
Bytyçi I et al.: Prevalence of statin intolerance: a meta-analysis. Eur Heart J. 2022;ehac015.; published online ahead of print, 2022 Feb 16.
Interessenlage: Die Metaanalyse wurde weder von einer Institution noch von pharmazeutischen Firmen gesponsert. Einige der Autoren der Publikation geben Beraterhonorare und Reisesponsoring von mehreren Firmen an.