Wenn Eltern ihre Kinder extrem erniedrigen, damit drohen, sie ins Heim zu stecken oder ihnen die Schuld für die eigene psychische Belastung oder Suizidgedanken geben, sind das Beispiele für emotionale Misshandlung.
Auch von Kindern beobachtete körperliche Gewalt zwischen den Eltern spielt eine entscheidende Rolle. «Bei unseren Studienergebnissen zeigt sich deutlich, dass emotionale Misshandlung nicht nur eine sehr häufige Form von Misshandlung ist, sondern auch eine mit psychischen Folgen, die ähnlich oder sogar noch schwerer wiegen als bei anderen Misshandlungsformen», erklärt Studienleiter und Letztautor Dr. Lars White, Forschungsgruppenleiter an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters des Leipziger Universitätsklinikums.
Emotionale Misshandlung hat die stärksten Auswirkungen
In ihrer Studie mit 778 Kindern fanden die Leipziger Wissenschafter gemeinsam mit Forschern anderer deutscher Universitäten heraus, dass 80 Prozent der untersuchten Kinder und Jugendlichen, die von Misshandlung berichteten, auch emotionale Misshandlung erfahren hatten. Damit stellte emotionale Misshandlung die häufigste Form von Kindesmisshandlung dar.
Ausserdem konnten die Wissenschafter zeigen, dass emotionale Misshandlung von allen Misshandlungsformen die stärksten Auswirkungen auf die Psyche der Kinder und Jugendlichen hatten, auch im Vergleich mit normalerweise wesentlich stärker beachteten Misshandlungsformen wie körperliche Misshandlung. Bei jüngeren Kindern zwischen drei und acht Jahren führte emotionale Misshandlung dabei vor allem zu Verhaltensauffälligkeiten, bei den älteren eher zu Depressionen und Angststörungen.
Risiko für psychische Störungen bereits in der frühen und mittleren Kidheit erhöht
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass das Risiko für die Ausbildung psychischer Störungen nach Misshandlung bereits in der frühen und mittleren Kindheit erhöht ist, was die Notwendigkeit einer frühen Intervention unterstreicht. «Wir zeigen, dass die Form der emotionalen Misshandlung, zu der auch die emotionale Vernachlässigung von Kindern zählt, als eigene Dimension verstanden werden muss. Sowohl in der Forschung als auch in der Behandlung, etwa bei Kinderärzten, sollte ein grösserer Fokus darauf gelegt werden», sagt Dr. Franziska Schlensog-Schuster, Erstautorin der Studie.
Psychologe Dr. White erklärt mit Blick auf den Alltag von Familien: «Wir müssen Eltern dafür sensibilisieren, öfter die Perspektive des Kindes einzunehmen. Noch vor 30 Jahren gab es die landläufige Meinung, Kinder sollen schreien gelassen werden und das, was sie in der Kindheit erleben, vergessen sie sowieso. Zunehmend gibt es aber einen enormen Sinneswandel und ein Verständnis dafür, dass wir uns den Jüngsten auch zuwenden müssen, wenn sie schwierige Gefühle zeigen, zum Beispiel wütend oder traurig sind.»
Hintergrund:
In der aktuell laufenden
zweiten Förderphase des AMIS-Projekts werden die bereits befragten Familien erneut eingeladen. Dabei soll unter anderem analysiert werden, ob die Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten im Jugendalter auch Symptome wie Ängste oder Depressionen entwickeln. In einer Therapiestudie soll zudem eine eigens entwickelte Psychotherapie für betroffene Kinder im Alter von drei bis acht Jahren auf Wirksamkeit überprüft werden. AMIS wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit insgesamt 2,2 Millionen Euro finanziert.