Übergewicht ist ein Risikofaktor für eine ganze Reihe an Krebserkrankungen. Besonders deutlich ist dieser Zusammenhang beispielsweise bei Gebärmutterkrebs, Nierenkrebs und auch bei Darmkrebs. Nach bisherigen Schätzungen haben fettleibige Menschen (definitionsgemäss ab einem Body Mass Index von ≥30 kg/m2) ein bis zu einem Drittel höheres Darmkrebsrisiko als normalgewichtige.
Gewichtsverlust vor der Diagnose bisher nicht berücksichtigt
«Allerdings wurde bei diesen Untersuchungen bislang nicht berücksichtigt, dass viele Betroffene in den Jahren vor ihrer Darmkrebsdiagnose an Gewicht verlieren», sagt Hermann Brenner, Epidemiologe und Präventionsexperte am Deutschen Krebsforschungszentrum. «Das hat dazu geführt, dass der Risikobeitrag von Übergewicht deutlich unterschätzt wurde, wie wir kürzlich
mit einer ersten Studie belegen konnten.»
Prospektive Kohortenstudie, Daten der UK Biobank
Um dieses Ergebnis an einer grösseren Kohorte abzusichern, konnten die Forscher um Brenner nun auf die Daten der UK Biobank zugreifen. Diese prospektive Kohortenstudie zu Lebensstil und Gesundheit schliesst etwa eine halbe Million Teilnehmer aus ganz Grossbritannien ein, die zwischen 2006 und 2010 im Alter von 40 bis 69 Jahren rekrutiert worden waren und seither nachbeobachtet werden.
Während einer mittleren Nachbeobachtungszeit von zehn Jahren erkrankten 4794 der insgesamt 453 049 Teilnehmer an Darmkrebs. Um beim Berechnen des Zusammenhangs zwischen Übergewicht und Darmkrebsrisiko mögliche Verzerrungen durch prädiagnostischen Gewichtsverlust zu vermeiden, schlossen die Forscher die ersten Jahre der Nachbeobachtungszeit aus. Dadurch wurde der Zusammenhang tatsächlich wesentlich deutlicher.
- Die Erklärung dafür: Ein relevanter Anteil der Krebserkrankungen, die in den ersten Jahren der Nachbeobachtung diagnostiziert wurden, war offenbar bereits bei Studienantritt vorhanden, ohne Symptome zu verursachen, und kann zu einem Gewichtsverlust geführt haben.
Berücksichtigte die Berechnung die gesamten bis zu 13 Jahre Nachbeobachtungszeit, so ergab sich für Übergewichtige ein um 13 Prozent (Frauen) bzw. 23 Prozent (Männer) höheres Darmkrebsrisiko als für Normalgewichtige. Wurden die Krebsdiagnosen der ersten sieben Jahre der Nachbeobachtung jedoch aus der Berechnung herausgenommen, so war das Risiko für Übergewichtige um 26 Prozent (Frauen) bzw. 42 Prozent (Männer) erhöht.
Die Heidelberger Epidemiologen berechneten ausserdem den Anteil der Darmkrebsfälle in der Studienpopulation, der statistisch auf das Konto von Übergewicht geht (population attributable fraction, PAF). Berücksichtigten sie dabei die gesamten bis zu dreizehn Jahre der Nachbeobachtung, ergab sich ein PAF von 11,3 Prozent. Wurden dagegen die ersten sieben Jahre ausgeschlossen, so gingen 19 Prozent der Darmkrebsfälle auf das Konto von Übergewicht und Adipositas.
«Das ist eine deutliche Steigerung gegenüber den bisherigen Schätzungen, die von einem Risikoanteil von 5 bis 11 Prozent ausgegangen waren», sagt Studienleiter Hermann Brenner. «Übergewicht ist offenbar für einen weitaus grösseren Teil der Darmkrebsfälle verantwortlich als bisher angenommen. Der hohe und in grossen Teilen der Welt weiterhin wachsende Anteil übergewichtiger Menschen wird vermutlich in den kommenden Jahren die Darmkrebs-Fallzahlen in vielen Ländern weiterhin erheblich ansteigen lassen.»
Gesteigerter Stoffwechsel und systemische Entzündung
Als Ursachen für den prädiagnostischen Gewichtsverlust gelten der durch den Tumor gesteigerte Stoffwechsel und eine systemische Entzündung, was beides den Energieverbrauch steigert. Die Dauer der prädiagnostischen Phase schätzen Experten auf durchschnittlich drei bis sechs Jahre.
Der Epidemiologe empfiehlt daher, bei der Planung künftiger Studien verstärkt auf den Zeitpunkt der Gewichtsmessungen zu achten. «Für die Einschätzung des Darmkrebsrisikos ist wahrscheinlich eher auschlaggebend, wie viele Lebensjahre ein Mensch wie viel an Übergewicht mit sich herumträgt, als das aktuelle Gewicht. Ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust im Erwachsenenalter kann andererseits aber auch ein Hinweis auf eine unerkannte Krebserkrankung sein und die Ursache dafür sollte daher sorgfältig abgeklärt werden», so Brenner.PS