Die Marburger Forscher um Julian Malchow und Prof. Dr. Christian Helker vom Fachbereich Biologie der Philipss-Universität Marburg haben einen neuen Signalweg entdeckt, mit dessen Hilfe Nervenzellen im zentralen Nervensystem mit Blutgefässen kommunizieren. Diese Kommunikation ist entscheidend für gesundes Gewebe- und Organwachstum.
Die Ergebnisse sind auch ausserhalb des zentralen Nervensystems interessant für Therapien – nach Herzinfarkten oder bei Krebserkrankungen –, bei denen aufzubauende oder zu eliminierende Gefässe entscheidend sind.
«Die Forschung zeigt, dass Zellen nicht isoliert voneinander zu betrachten sind, sondern in komplexen Netzwerken im Gewebe miteinander kommunizieren. In diesem Fall wird das Wachstum von Blutgefässen entscheidend von der Kommunikation mit den Nervenzellen geprägt», erläutert Prof. Dr. Gert Bange, Vizepräsident für Forschung der Uni Marburg.
Wie Apelin das Wachstum von Blutgefässen anregt
Wissenschaftler haben die Vorstellung längst widerlegt, wonach Blutgefässe schlicht Röhren gleichen, die Sauerstoff und Nährstoffe transportieren. Vielmehr sind sie Teil eines umfangreichen Signalnetzwerks im Gewebe und zwischen Organen. In ihren Experimenten haben die Forscher insbesondere untersucht, wie Nervenzellen den Signalstoff Apelin produzieren, der das Wachstum von Blutgefässen steuert.
- Die Gefässe spriessen aus und wandern dann Richtung Nervenzelle.
- Damit das gelingt, verfügen die Gefässzellen über bestimmte Rezeptoren auf ihrer Zellmembran.
- Diese für Apelin spezifischen Rezeptoren gehören in eine grosse Rezeptorenklasse namens G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR), die zur erfolgreichsten Klasse medikamentöser Ziele im menschlichen Genom zählen und in der Medizinforschung gut bekannt sind.
Modellsystem Zebrafisch
Als Modellsystem betrachten die Forscher Larven des Zebrafischs. «Die eignen sich gut für die Forschung an Organen und Zellen, da sich die Organe schnell entwickeln und viele Entwicklungsschritte dem Menschen ähnlich, wenn nicht gar identisch sind», sagt Christian Helker. Unter dem Laserscanning-Mikroskop können die Forscher das Wachstum von Gefässen ins Neuralrohr (das sich zum Zentralen Nervensystem entwickelt) en detail beobachten. «Wir sehen live, wie die Signale in den Zellen eingeschaltet werden und die Zelle auf das Signal reagiert», sagt Helker. Dazu müssen die Forscher bestimmte Bestandteile in den Zellen genetisch und farblich markieren. Diese Biosensoren leuchten dann rot, grün oder gelb auf, wann immer ein Signalweg in der Zelle angeschaltet wird. «Wir können am Monitor verfolgen, wie die Gefässe in das Neuralrohr einwandern und welche Signalwege dafür erforderlich sind», sagt Helker.
Mit gentechnischen Methoden können die Biologen die Signalwege manipulieren. Ist beispielsweise ein Rezeptor defekt oder blockiert, so kommt das Wachstum ins Stocken. «Wenn ein Schritt fehlt, geht alles schief», kommentiert Christian Helker. Für die therapeutische Anwendung bedeutet dies, dass sich über das Verständnis der Signalwege des Gefäss-Organ-Wachstums Erkrankungen womöglich beeinflussen lassen. Ist Gewebe etwa nach einem Herzinfarkt geschädigt, so könnte medikamentös der Neuaufbau unterstützt werden.
Im Tissue Engineering, bei dem Ersatzgewebe oder -organe im Labor gezüchtet werden, wäre das Einleiten und Steuern von Gefässwachstum ein wichtiger Schritt nach vorn. Andererseits ist es bei der Tumortherapie wünschenswert, die Gefässbildung zum Tumor zu stören, etwa indem Signalkaskaden unterbunden werden. «Das grundlegende Verständnis der Kommunikation zwischen Gefässen und Organen gibt uns viele Ansatzpunkte und Ideen für therapeutische Interventionen», erklärt Christian Helker.PS