Wenn drei Monate nach einer SARS-CoV-2-Infektion noch immer gesundheitliche Beschwerden bestehen, die über mindestens zwei Monate anhalten und nicht anderweitig zu erklären sind, spricht man vom Post-COVID-Syndrom (PCS). Die Symptome sind heterogen, viele Betroffene haben Atembeschwerden, können sich schlecht konzentrieren und sind kaum belastbar. Besonders oft berichten PCS-Erkrankte von einer bleiernen Erschöpfung, die sich durch normale Erholung kaum beheben lässt: die Fatigue. Häufig können diese Menschen den Alltag kaum noch bewältigen und leichte Anstrengung verschlechtert den Zustand, man spricht von Belastungsintoleranz. Frauen trifft es deutlich häufiger als Männer.
Nicht nur Betroffene fragen sich, wie lange sie mit ihren Symptomen zu kämpfen haben werden. Für die ersten Monate nach der Infektion gibt es dazu mittlerweile Erkenntnisse aus einer Reihe von Studien. Danach dauert die Erholung im Schnitt desto länger, je schwerer die Infektion verlaufen ist. Bei vielen gehen die Beschwerden innerhalb eines Jahres zurück – das gilt jedoch leider nicht für alle Erkrankten. Unklar ist bisher, wie sich die Krankheit bei ihnen langfristig entwickelt.
Wie lang sind die Schatten von COVID-19?
In ihrer Studie fokussierten sich die Forscher auf Menschen, die ein halbes Jahr nach ihrer SARS-CoV-2-Infektion noch immer an einer ausgeprägten Fatigue und stark reduzierter Belastbarkeit litten. Im Gegensatz zu Studien, die sich allein auf die Beschreibung der Symptome durch die Betroffenen stützen, wurden die 106 Teilnehmer – zum Grossteil Frauen – zu drei Zeitpunkten im Abstand von mehreren Monaten umfassend medizinisch untersucht.
«Leider zeigen unsere Daten, dass Post-COVID-Betroffene mit schwerer Fatigue auch mehr als eineinhalb Jahre nach ihrer Infektion noch immer krank sind», sagt Dr. Judith Bellmann-Strobl, Letztautorin der Studie und Oberärztin der Hochschulambulanz für Neuroimmunologie des Experimental and Clinical Research Center (ECRC). «Nur bei der Hälfte von ihnen – die nicht das Vollbild von ME/CFS zeigen – zeichnet sich eine langsame Besserung zumindest einiger Symptome ab.»
Zwei Gruppen von PCS-Erkrankten mit ausgeprägter Fatigue und Belastungsintoleranz
Bereits letztes Jahr hatten die Forscher beobachtet, dass sich unter den Post-COVID-Betroffenen mit stark reduzierter Belastbarkeit zwei Gruppen unterscheiden lassen.
- Ein Teil der Patienten erfüllt das Vollbild eines ME/CFS – eine komplexe neuroimmunologische Erkrankung, die mit schwerer Fatigue und Belastungsintoleranz einhergeht und zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führen kann.
- Patienten in der zweiten Gruppe haben zwar ähnliche Symptome, ihre Beschwerden nach körperlicher Anstrengung sind jedoch meist nicht so stark ausgeprägt und halten weniger lang an.
Bei der letzteren Gruppe gehen der aktuellen Studie zufolge die Fatigue, aber auch das allgemeine Krankheitsgefühl, Schmerzen und Konzentrationsstörungen über die Zeit etwas zurück. Ihre Belastbarkeit steigt ein wenig, einige Betroffenen konnten wieder einer Arbeit nachgehen.
Bei den Post-COVID-Patienten mit ME/CFS veränderten sich die Beschwerden dagegen kaum, obwohl auch sie eine symptomatische Therapie erhielten. Mit sehr wenigen Ausnahmen: «Sieben der 55 ME/CFS-Erkrankten erlebten eine Verbesserung ihrer Beeinträchtigungen», erklärt Dr. Bellmann-Strobl. «Wir haben allerdings zurzeit noch keine Erklärung dafür und konnten keine medizinischen Gemeinsamkeiten feststellen.»
Handkraft zur Abschätzung der Prognose?
Eine weitere Beobachtung aus der Studie lässt sich künftig möglicherweise für die Abschätzung des Krankheitsverlaufs bei Post-COVID-Erkrankten mit ME/CFS nutzen: Je mehr Kraft die Patienten zu Beginn der Erkrankung in der Hand hatten, desto geringer ausgeprägt waren ihre Symptome bis zu 20 Monate später. «Die Handkraft war nicht nur ein Parameter für die Schwere der Erkrankung zu Beginn, sondern konnte auch vorhersagen, wie sich die ME/CFS-Erkrankung weiter entwickeln wird», erklärt Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen, kommissarische Direktorin des Instituts für Medizinische Immunologie der Charité und Leiterin des Charité Fatigue Centrums. Zusammen mit Dr. Bellmann-Strobl hat sie die Studie geleitet. Sie betont: «Bevor wir die Handkraft allerdings prognostisch nutzen können, müssen wir ihre Aussagekraft mit weiteren Studien bestätigen.»
Einteilung der Kräfte durch Pacing
In Ermangelung von Therapien, die nicht nur die Symptome lindern, sondern auch die Ursache des Post-COVID-Syndroms und ME/CFS beheben, empfiehlt Dr. Bellmann-Strobl den Patienten vor allem, ihre Energiereserven durch Pacing (Einhaltung der individuellen Belastungsgrenzen durch Energiemanagament) gut einzuteilen und eine Überlastung zu vermeiden. Hilfsmittel können beispielsweise Schrittzähler, Herzfrequenzmesser, ein Aktivitätstagebuch und Entspannungsübungen sein.
«Durch das Pacing lässt sich die postexertionelle Malaise, eine Verschlechterung des Zustands, verhindern. Je besser Betroffene das Pacing beherrschen, desto weniger Beschwerden haben sie durch ihre Erkrankung. Dabei sollte man sich sehr vorsichtig an die Belastungsgrenzen herantasten; eine professionelle Anleitung kann dabei helfen, eine Überanstrengung zu vermeiden.»PS