Home/Wie steht es um das Demenzrisiko bei Profi-Fussballspielern?
imageBild: DGN

Wie steht es um das Demenzrisiko bei Profi-Fussballspielern?

Seit Jahren gibt es zunehmend mehr Studien zum Risiko für neurodegenerative Erkrankungen (wie Demenzen) bei Sportarten mit wiederholten Schädelprellungen wie dem Fussballsport. Eine neue Kohortenstudie aus Schweden verglich über 6000 ehemalige Fussballspieler der höchsten Liga hinsichtlich des Auftretens neurodegenerativer Erkrankungen mit einer Kontrollpopulation (>50.000) aus der Allgemeinbevölkerung.

DGN7.4.20232"
Fussball steht von allen Sportarten in der Beliebtheit auf der ganzen Welt an oberster Stelle. Verschiedene Beobachtungstudien geben jedoch schon seit Jahren Anlass zur Sorge hinsichtlich der späteren Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen. Zwar sind schwere Kopfverletzungen im Fussballsport selten (in den meisten Studien <0,1 Ereignisse pro 1.000 Spielerstunden [1]), jedoch vermutet man, dass wiederholte, subklinische Verletzungen bzw. Prellungen des Kopfes (v.a. durch Kopfbälle) im Sinne einer «chronisch traumatischen Enzephalopathie» zu einem erhöhten Risiko für neurodegenerative Erkrankungen führen könnten (z.B. M. Alzheimer, andere Demenzen, M. Parkinson und Motoneuronerkrankungen. Abschliessende Evidenz ist noch nicht vorhanden, manche Studien werden kontrovers diskutiert, sind widersprüchlich, im Studiendesign limitiert oder aus anderen Gründen wie Fehlen einer Kontrollgruppe oder unvollständiger Ergebniserfassung nur schwer miteinander vergleichbar.

Nachdem Untersuchungen aus Schottland 2019 zeigten, dass Profifussballspieler gegenüber der Allgemeinbevölkerung ein mindestens 3,5-mal höheres Risiko haben, an einer neurodegenerativen Erkrankung zu versterben (2, 3), haben UEFA und die Britischen Fussballverbände ihre Richtlinien überarbeitet, um die Sportler bestmöglich zu schützen (z.B. Verbot von Kopfballtraining unter 12 Jahren). 2022 beschloss auch der DFB Änderungen im Kinder- und Jugendfussball im Sinne eines altersgerechten Umgangs mit dem Kopfballspiel; dies beinhaltet z.B. neue Wettbewerbsformen, kleinere Tore und Spielfelder oder das Erlernen der richtigen Kopfballtechnik mit geringem Übungsumfang und leichteren Bällen. Es gibt jedoch auch Rufe aus der medizinischen Fachwelt, das so genannte Köpfen wie in anderen Ländern vor dem Jugendalter ganz zu verbieten.

Schwedische Kohortenstudie
Nun wurde eine weitere Studie zur Kopfball-Problematik veröffentlicht (1). Die Kohortenstudie aus Schweden bewertete das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen bei 6007 Fussballspielern durch Hinzuziehen einer ausgesprochen grossen Vergleichsgruppe von 56 168 Männern aus der Allgemeinbevölkerung. Analysiert wurden Daten von Profi- und Amateurspielern (darunter 510 Torhüter), die zwischen 1924 und 2019 in der höchsten schwedischen Fussball-Liga gespielt hatten. Der Vergleich mit der Kontrollpopulation (bis zu 10 Kontrollen pro Spieler) erfolgte gematcht nach Alter und Wohnregion. Das Follow-up erfolgte bis Ende 2020. Verwendet wurden landesweite Sterbe-, Krankenhaus- und ambulante Patientenregister; dabei wurden Demenzen (M. Alzheimer und andere), Motoneuronerkrankungen und M. Parkinson separat erfasst.
  • Bei 537 der 6007 Fussballspieler (8,9%) wurde die Diagnose einer neurodegenerativen Erkrankung gestellt – gegenüber 3.485 (6,2%) der Kontrollpersonen. Das Erkrankungsrisiko der Fussballer insgesamt (Feldspieler und Torhüter) war somit signifikant um fast 50% höher (Hazard Ratio/HR 1,46) als in der Allgemeinbevölkerung. Betroffen waren vor allem Profifussballer, die Mitte des 20. Jahrhunderts spielten.
  • Gegenüber den Kontrollen hatten Feldspieler eine HR von 1,50; Torhüter dagegen keine signifikante Erhöhung (HR 1,07). Speziell das Demenz-Risiko der Feldspieler war hoch (HR 1,67). Bei Motoneuronenerkrankungen gab es keine signifikanten Unterschiede.
  • Parkinson-Erkrankungen waren sogar bei Fussballspielern seltener als in der Kontrollgruppe (HR 0,68, ohne signifikanten Unterschied zwischen Feldspielern und Torhütern).
  • Die Gesamtmortalität der Fussballspieler war insgesamt etwas niedriger als in der Allgemeinbevölkerung (HR 0,95); die Sterblichkeit an Lungenerkrankungen (Bronchialkarzinom, chronisch obstruktive Lungenerkrankung) war sogar deutlich niedriger (HR 0,82).
  • Die Sterblichkeit an/mit neurodegenerativen Erkrankungen war bei den Fussballern dagegen signifikant höher als bei den Kontrollen (HR 1,54 und HR 1,69 für Tod mit/an Demenz).
Die Studienautoren weisen darauf hin, dass eine Übertragbarkeit z.B. auf den Fussballsport dieses Jahrhunderts, Frauenfussball oder Freizeitfussball nicht ohne weiteres möglich ist. Dennoch bewerten sie die Ergebnisse als relevant für das grundsätzliche Risikomanagement in diesem Sport.

«Auch in dieser Studie bestätigte sich ein erhöhtes Demenz-Risiko bei ehemaligen Fussballern. Anders als in der Studie aus Schottland war das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen allerdings nicht ganz so ausgeprägt (1,5-fach versus 3,5-bis 5-fach), und es bestand auch nur für Demenzen, nicht aber für M. Parkinson», kommentiert Prof. Dr. med. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. «Sport ist für alle Altersgruppen zweifellos wichtiger Bestandteil eines gesunden Lebensstils und regelmässige Bewegung ist auch eine relevante Säule der Demenzprävention. Kopftraumata durch Kopfbälle scheinen beim Fussball diesen Effekt jedoch umzukehren. Ob es für die Gesunderhaltung der kognitiven Fähigkeiten reicht, nur auf das ‚Köpfen‘ im Kindes- und Jugendalter zu verzichten, müssen weitere Studien klären.»PS

Literatur
  1. Ueda P et al.: Neurodegenerative disease among male elite football (soccer) players in Sweden: a cohort study. Lancet Public Health 2023 Apr; 8 (4): e256-e265 doi: 10.1016/S2468-2667(23)00027-0. Epub 2023 Mar 16.
  2. Mackay DF et al.: Neurodegenerative disease mortality among former professional soccer players. N Engl J Med 2019; 381: 1801–08.
  3. Russell ER et al.: Association of Field Position and Career Length With Risk of Neurodegenerative Disease in Male Former Professional Soccer Players. JAMA Neurol 2021; 78 (9): 1057-1063 doi: 10.1001/jamaneurol.2021.2403.

Rosenbergstrasse 115
8212 Neuhausen am Rheinfall
Telefon: +41 52 675 51 74
info@docinside.ch
www.docinside.ch

Handelsregistereintrag
Firmenname: DOCINSIDE AG
UID: CHE-412.607.286

Über uns
Bankverbindung

Schaffhauser Kantonalbank
8200 Schaffhausen
IBAN: CH76 0078 2008 2797 0810 2

Mehrwertsteuer-Nummer
CHE-412.607.286

Kontakte

Dr. med. Adrian Müller
Betrieb und Inhalte
adrian.mueller@docinside.ch

Dr. med. Richard Altorfer
Inhalte und Redaktion
richard.altorfer@docinside.ch

Dr. med. Christine Mücke
Inhalte und Redaktion
christine.muecke@docinside.ch

Copyright © 2021 Alle Rechte vorbehalten.
Powered by Deep Impact / Spectra