Die Tollwut ist eine vernachlässigte Tropenkrankheit (Neglected Tropical Disease, NTD), die jährlich noch immer schätzungsweise 59 000 Todesfälle verursacht; darunter sind viele Kinder. Die Krankheit wird fast ausschliesslich durch Hundebisse übertragen. Sobald Symptome auftreten, verläuft die Krankheit zu 100% tödlich. Tollwut kann durch Impfung von Hunden und Vermeiden von Hundebissen verhindert werden. Nach einem möglichen Kontakt mit einem infizierten Hund, können sich Menschen einer Postexpositionsprophylaxe (PEP) unterziehen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt die jährlichen weltweiten Kosten im Zusammenhang mit der Tollwut auf 8,6 Milliarden US-Dollar und will die Krankheit als Todesursache für den Menschen bis zum Jahr 2030 eliminieren.
Mit der Spieltheorie gegen Tollwut
Eine Studie des Swiss TPH und seinen Partnern zeigt nun, dass eine koordinierte «One-Health»-Strategie die Eliminierung der Tollwut in greifbare Nähe rücken könnte, was in den nächsten 30 Jahren zu einem geschätzten Wohlfahrtsgewinn von 9,5 Milliarden US-Dollar führen würde. Das Besondere an dieser Studie ist die Anwendung der Spieltheorie auf ein Problem der öffentlichen Gesundheit.
Die Spieltheorie ist ein mathematisches Instrument, mit dem die profitabelsten eigennützigen und kooperativen Entscheidungen verglichen werden können. Im Falle der Tollwut können verschiedene Strategien – wie die Massenimpfung von Hunden oder die PEP – mit und ohne Koordinierung auf spieltheoretischer Basis verglichen werden, um diejenigen zu ermitteln, die für alle am vorteilhaftesten sind.
«Da die Tollwut auch über Landesgrenzen hinweg wieder eingeschleppt werden kann, sind die Anstrengungen eines Landes zur Tollwutbekämpfung von den Massnahmen anderer Länder abhängig», erklärt Jakob Zinsstag, Leiter der Einheit «Human and Animal Health» am Swiss TPH und Hauptautor der Studie. Anhand einer Nutzen-Kosten-Studie konnte das Forschungsteam nachweisen, dass die Tollwut durch die koordinierte Durchführung von Massenimpfungen von Hunden und PEP in endemischen Ländern letztendlich eliminiert werden kann.
Zusammenarbeit ist die profitabelste Wahl
«Durch unsere Analysen konnten wir zwei Gruppen von Ländern identifizieren. Für die erste Gruppe, zu der Länder wie Tschad und Nigeria gehören, ist die Massenimpfung von Hunden immer die vorteilhafteste und rationalste Entscheidung, unabhängig von den Massnahmen anderer Länder», so Alvar Bucher, Erstautor und Masterstudent am Swiss TPH. «Für die zweite Gruppe von Ländern, darunter Algerien und Südafrika, kommt der Nutzen einer Massenimpfung von Hunden hingegen nur dann zum Tragen, wenn die anderen Länder dieselbe Strategie fahren.»
In Abwesenheit von koordinierten Massnahmen ist es daher für die zweite Gruppe die rationalste Entscheidung, hauptsächlich in PEP zu investieren. «Unsere Daten zeigen jedoch, dass eine Zusammenarbeit – bei der alle Länder Massenimpfungen von Hunden durchführen – im Durchschnitt den grössten Nutzen für alle bringt und daher langfristig für alle Länder die profitabelste Wahl ist», betont Artemiy Dimov, ebenfalls Erstautor .
«One Health» zur Bekämpfung von Zoonosen
Laut der WHO sind 60% der weltweit neu auftretenden Infektionskrankheiten Zoonosen. Der öffentliche Gesundheitssektor kann diese Krankheiten nicht allein bekämpfen. «Die Studie unterstreicht die Bedeutung eines «One-Health»-Ansatzes zur Bekämpfung von Zoonosen wie der Tollwut, also der Zusammenarbeit zwischen dem Gesundheitswesen, dem Veterinär- und dem Umweltsektor», so Zinsstag.
«Unsere Studie liefert einen Fahrplan für politische Entscheidungsträger und Gesundheitsbehörden, um kooperative und sektorübergreifende Strategien zur Bekämpfung von Zoonosen zu priorisieren.»PS