Home/Eignen sich KI-Chatbots fürs Krankenhaus?

Eignen sich KI-Chatbots fürs Krankenhaus?

Large Language Models bestehen medizinische Examen mit Bravour. Ein Team der TUM hat nun erstmals systematisch untersucht, ob diese Form der Künstlichen Intelligenz (KI) auch für den Klinikalltag geeignet wäre.

TUM23.7.20241"
Large Language Models sind Computerprogramme, die mit riesigen Mengen Text trainiert wurden. Speziell trainierte Varianten der Technologie, die auch hinter ChatGPT steckt, lösen mittlerweile sogar Abschlussexamen aus dem Medizinstudium nahezu fehlerfrei. Wäre eine solche KI auch in der Lage, die Aufgaben von Ärzten in einer Notaufnahme zu übernehmen? Könnte sie anhand der Beschwerden die passenden Tests anordnen, die richtige Diagnose stellen und einen Behandlungsplan entwerfen?

Im Fachmagazin «Nature Medicine» hat sich ein interdisziplinäres Team um Daniel Rückert, Professor für Artificial Intelligence in Healthcare and Medicine an der TUM, dieser Frage gewidmet. Ärzte haben gemeinsam mit KI-Fachleuten erstmals systematisch untersucht, wie erfolgreich verschiedene Varianten des Open-Source-Large-Language-Models Llama 2 bei der Diagnose sind.

Weg von Notaufnahme zur Behandlung nachgespielt
Um die Fähigkeiten der komplexen Algorithmen zu testen, nutzten die Forschenden anonymisierte Daten von Patienten aus einer Klinik in den USA. Aus einem grösseren Datensatz wählten sie 2400 Fälle aus. Alle Betroffenen waren mit Bauchschmerzen in die Notaufnahme gekommen. Die Fallbeschreibung endete jeweils mit einer von vier Diagnosen und einem Behandlungsplan. Zu den Fällen waren alle Daten verfügbar, die für die Diagnose erfasst wurden – von der Krankengeschichte über die Blutwerte bis hin zu den Bildgebungsdaten. «Wir haben die Daten so aufbereitet, dass die Algorithmen die realen Abläufe und Entscheidungsprozesse im Krankenhaus nachspielen konnten», erläutert Friederike Jungmann, Assistenzärztin in der Radiologie des Klinikums rechts der Isar der TUM und gemeinsam mit dem Informatiker Paul Hager Erstautorin der Studie. «Das Programm hat immer nur die Informationen, die auch die realen Ärzte hatten. Ob es beispielsweise ein Blutbild in Auftrag gibt, muss es selbst entscheiden und dann mit dieser Information die nächste Entscheidung treffen, bis es schliesslich eine Diagnose und einen Behandlungsplan erstellt.»

Das Team stellte fest, dass keines der Large Language Models durchgängig alle notwendigen Untersuchungen einforderte. Tatsächlich wurden die Diagnosen der Programme sogar weniger zutreffend, je mehr Informationen sie zu dem Fall hatten. Behandlungsrichtlinien befolgten sie oftmals nicht. Als Konsequenz ordnete die KI beispielsweise Untersuchungen an, die für echte Patienten schwere gesundheitliche Folgen nach sich gezogen hätten.

Direkter Vergleich mit Ärzten
In einem zweiten Teil der Studie wurden KI-Diagnosen zu einer Teilmenge aus dem Datensatz mit Diagnosen von vier Ärzten verglichen. Während diese bei 89 Prozent der Diagnosen richtig lagen, kam das beste Large Language Model auf gerade einmal 73 Prozent. Jedes Modell erkannte manche Erkrankungen besser als andere. In einem Extremfall diagnostizierte ein Modell Gallenblasenentzündungen nur in 13 Prozent der Fälle korrekt.

Ein weiteres Problem, das die Programme für den Einsatz im Alltag disqualifiziert, ist ein Mangel an Robustheit: Welche Diagnose ein Large Language Modell stellte, hing unter anderem davon ab, in welcher Reihenfolge es die Informationen erhielt. Auch linguistische Feinheiten beeinflussten das Ergebnis – beispielsweise ob das Programm um eine «Main Diagnosis» eine «Primary Diagnosis» oder eine «Final Diagnosis» gebeten wurde. Im Klinikalltag sind die Begriffe in der Regel austauschbar.

ChatGPT nicht getestet
Das Team hat explizit nicht die kommerziellen Large Language Models von OpenAI (ChatGPT) und Google getestet. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe. Zum einen untersagt der Anbieter der Krankenhausdaten aus Datenschutzgründen, die Daten mit diesen Modellen zur verarbeiten. Zum anderen raten Experten nachdrücklich, für Anwendungen im Gesundheitssektor ausschliesslich Open-Source-Software zu verwenden.

«Nur mit Open-Source-Software haben Krankenhäuser die Informationen und das nötige Mass an Kontrolle, um die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten. Wenn es darum geht, Large Language Models zu bewerten, müssen wir wissen, mit welchen Daten sie trainiert wurden. Sonst könnte es sein, dass wir für die Bewertung genau die Fragen und Antworten verwenden, mit denen sie trainiert wurden. Da Unternehmen die Trainingsdaten streng unter Verschluss halten, würde eine faire Bewertung erschwert», sagt Paul Hager. «Es ist auch gefährlich, wichtige medizinische Infrastrukturen von externen Dienstleistern abhängig zu machen, die ihre Modelle nach Belieben aktualisieren und ändern können. Im Extremfall könnte ein Dienst, den Hunderte von Kliniken nutzen, eingestellt werden, weil er nicht mehr rentabel ist.»

Schnelle Fortschritte
Die Entwicklung in dieser Technologie verläuft sehr schnell. «Es ist gut möglich, dass in absehbarer Zeit ein Large Language Model besser dafür geeignet ist, aus Krankengeschichte und Testergebnissen auf eine Diagnose zu kommen», sagt Prof. Daniel Rückert. «Wir haben deshalb unsere Testumgebung für alle Forschungsgruppen freigegeben, die Large Language Models für den Klinikkontext testen wollen.» Rückert sieht Potenzial in der Technologie: «Large Language Models könnten in Zukunft wichtige Werkzeuge für Ärzte werden, mit denen sich beispielsweise ein Fall diskutieren lässt. Wir müssen uns aber immer der Grenzen und Eigenheiten dieser Technologie bewusst sein und diese beim Erstellen von Anwendungen berücksichtigen», sagt der Medizin-KI-Experte.PS

  • Zur Originalpublikation
Hager P, Jungmann F et al.: Evaluation and mitigation of the limitations of large language models in clinical decision-making. Nat Med. 2024. DOI: 10.1038/s41591-024-03097-1.

Quelle: Technische Universität München (TUM), Pressemitteilung vom 22.07.2024

Rosenbergstrasse 115
8212 Neuhausen am Rheinfall
Telefon: +41 52 675 51 74
info@docinside.ch
www.docinside.ch

Handelsregistereintrag
Firmenname: DOCINSIDE AG
UID: CHE-412.607.286

Über uns
Bankverbindung

Schaffhauser Kantonalbank
8200 Schaffhausen
IBAN: CH76 0078 2008 2797 0810 2

Mehrwertsteuer-Nummer
CHE-412.607.286

Kontakte

Dr. med. Adrian Müller
Betrieb und Inhalte
adrian.mueller@docinside.ch

Dr. med. Richard Altorfer
Inhalte und Redaktion
richard.altorfer@docinside.ch

Dr. med. Christine Mücke
Inhalte und Redaktion
christine.muecke@docinside.ch

Copyright © 2021 Alle Rechte vorbehalten.
Powered by Deep Impact / Spectra